Experiment geglückt: Wenn Schüler*innen Ratsmitglieder werden

Ich war ziemlich gespannt auf das diesjährige „Pimp your town“. Das Ganze war als hybride Veranstaltung geplant: Die Schüler*innen in der Schule, die Paten online zugeschaltet. Ob das wohl funktioniert? Es funktioniert!

„Pimp your town“ ist ein Planspiel, bei dem Jugendliche in die Rolle von Ratsmitgliedern schlüpfen und Kommunalpolitik machen. Der Verein „Politik zum Anfassen“ hat dieses Pop-up-Jugendparlament seit 2009 mit mehr als 10.000 Schüler*innen in vielen Kommunen durchgeführt.

Aus Bad Bentheim nahmen dieses Jahr eine Klasse der Hauptschule Gildehaus, des Missionsgymnasiums St. Antonius und des Burg-Gymnasiums teil. Dabei ist jede Klasse eine Fraktion.  In den Fraktionen beraten die Schüler-Ratsmitglieder politische Initiativen, bereiten Anträge vor und diskutieren diese dann in einer Ratssitzung mit allen Klassen. Echte Ratsmitglieder wie ich stehen als Berater zur Verfügung, wenn es darum geht, die eigene Sache vorzutragen, zu argumentieren, sich zu positionieren.

Ich war Pate der Klasse der Hauptschule und wurde zugeschaltet, die meiste Zeit hat die Technik mitgespielt. Die Vorbereitung war beeindruckend: Ein Vorlagendokument, in dem alle Anträge aller drei Schulklassen zusammengefasst kurz erläutert waren, war bereits erstellt.

Unsere gemeinsame Aufgabe lautete zunächst, jeden Antrag in der Klasse (Fraktion) zu besprechen und zu diskutieren. Argumentationslinien mussten gefunden, das Abstimmungserhalten der Fraktion besprochen werden. Für die eigenen Anträge haben die Klassen Haupt- und Zweitredner bestimmt, mussten mögliche Gegenargumente anderer Fraktionen vorhersehen und Erwiderungen vorbereiten. Ich weiß aus Erfahrung, dass das schon mit Erwachsenen nicht einfach ist. Und hier waren nun sogar zwei Dutzend Schüler*innen online dabei, begleitet von Mitarbeiter*innen von „Pimp your town“ und dem Jugendhaus.

Es hat toll geklappt. Die Schüler*innen waren engagiert beteiligt, diskutieren lebhaft, teilweise durchaus kontrovers. Ab und an war es etwas chaotisch, aber als Grüner ist mir Chaos ja nicht fremd 😉. Sehr gut gefallen hat mir die Ernsthaftigkeit, mit der gearbeitet wurde, der Wille zum Kompromiss und auch die Akzeptanz anderer Meinungen. Gerade in Coronazeiten und mit dem ständigem Hintergrundlärm der sozialen Medien hat man ja oft den Eindruck von „Hauptsache laut, dann habe ich recht“. Nichts davon hier!

Schüler*innen wünschen sich besseres Internet

In den Anträgen formulierten die Schüler*innen Dinge, die sie beschäftigen, die sie sich wünschen, die sie verbessern möchten. Es ging um Straßenlaternen, zusätzliche Mülleimer, Sportanlagen, es gab kreative Ideen zu Solaranlagen, zur Vermeidung von Autoverkehr, z.B. durch Miet-(E)-Bikes. Sehr interessant fand ich, dass fast immer das Gemeinwohl im Vordergrund stand. Die jungen Leute thematisierten immer wieder Umwelt- und Klimaschutz und kamen in jeder Diskussion darauf zurück.

Ein Schlüsselmoment für mich waren zwei Anträge der Hauptschule und des Missionsgymnasiums, die fast gleichlautend mehr Digitalisierung an den Schulen forderten. Die Schüler*innen wünschen sich funktionierendes Internet und auch Tablets zum Arbeiten. Ich meine, dass so etwas heutzutage eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte. Das Burg-Gymnasium merkte an, das bei ihnen all das schon länger Realität sei, was sich Hauptschule und Missionsgymnasium wünschen. Und schon war ich zurück auf dem kommunalpolitischen Boden der Tatsachen. Schulen der Sekundarstufe 1 in Trägerschaft der Stadt Bad Bentheim (zu denen die Hauptschule gehört, das Burg-Gymnasium aber nicht), sind beschämend schlecht ausgestattet. Für uns Grüne ist das ein Unding und ich hoffe, dies mit einer gestärkten grünen Fraktion nach der Wahl ändern zu können.

Und dann – wie um das digitale Elend noch einmal zu bestätigen – brach die Verbindung zur Hauptschule ab: Internetprobleme. Passt ja!

Insgesamt war es ein sehr spannender Vormittag, ich werde auch nächstes Jahr gerne wieder bei „Pimp your town“ dabei sein. Zum Schluss mein Kompliment an die jungen Erwachsenen: Toll gemacht! Macht weiter, bleibt dran. Mehr junge Leute würden der Kommunalpolitik und dem Stadtrat sicher guttun.

Weitere Informationen zum Jugend-Projekt „Pimp Your Town“ finden sich hier: https://www.pimpyourtown.de/

(51), Chemiker, forscht und lehrt an der Universität Twente. Glaubt an langfristig clevere Lösungen. Seit 5 Jahren im Bad Bentheimer Stadtrat. Reist leidenschaftlich. Fährt gerne Rad und Kanu, klettert – jeweils begeistert aber nicht sonderlich ambitioniert. Lebt in der Bad Bentheimer Innenstadt.

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