Michael Pruban (39), Geschäftsführer einer Online-Marketing-Firma, und Detlef Kuhn (63), Journalist, trennen angesichts von 24 Jahren Altersunterschied nicht nur mindestens eine Generation, sondern beruflich auch andere Erfahrungswelten. Als GN-Redakteur hat Detlef Kuhn gegen Ende seines Berufslebens noch die Wendung hin zu „Digital first“ auch für eine Lokalzeitung wie die „Grafschafter Nachrichten“ erlebt. Für den Berufsalltag von Michael Pruban (Stadtrat: Listenplatz 5, Kreistag: Listenplatz 8) ist das eine Selbstverständlichkeit. Doch eines verbindet die beiden Grünen-Stadtratskandidaten bei der Kommunalwahl in Bad Bentheim: Die Neugier an gesellschaftlichen Entwicklungen, bei der die Digitalisierung von erheblichem Nutzen sein kann, auch in der Kommunalpolitik. Wenn man sie intelligent einsetzt. Als Journalist ist Detlef Kuhn es gewohnt, neugierig zu sein und Fragen zu stellen. So ist dieses Interview zustande gekommen – in dem beide Gesprächspartner auf ihre Stärken bauen konnten.
Michael, was macht ein Online-Marketing-Manager?
Wir sind die, die dafür sorgen, dass Werbung in den sozialen Medien zielgruppenorientiert an die Kunden kommt, also mit möglichst geringen Streuverlusten. Dazu muss man sich die Dienstleistungen oder Produkte anschauen, um die Inhalte möglichst kreativ in Bild und Schrift zu platzieren. Dafür nutzt man bestimmte an Keywords orientierte Mechanismen, um gezielt erfolgreich zu sein, damit die gewünschte Werbung sichtbar wird.
Wenn man eure Unternehmensphilosophie auf die Bad Bentheimer Stadtverwaltung übertragen würde, könnten die Verantwortlichen im Rathaus dann etwas daraus lernen?
Man muss den Menschen genau zuhören und herausfiltern, was ein Auftraggeber und eine Zielgruppe eigentlich will. Dann kann man überlegen, was man für sie tun kann. Immer mit der Frage im Hinterkopf: Will die Zielgruppe auch, was die Verwaltung vorschlägt und die Politik entscheiden soll?
Als Kandidat bei der Kommunalwahl hast du als wichtigstes Ziel formuliert: Die digitale Wende in Bad Bentheim voranbringen, das kann Politik für alle Menschen verständlich machen. Kannst du an einem Beispiel erklären, welche positiven Effekte eine verstärkte Digitalisierung haben könnte?
Vereinfachung erhöht das Mitspracherecht. Fast alle haben ja ein Endgerät in der Tasche, mit dem sie kundtun können, was sie denken oder welche Ideen sie einbringen wollen. Man muss also nicht erst irgendwelche Zettel ausfüllen oder irgendwo hingehen, sondern man verlagert die bisherige Bürgerfragestunde in digitale Räume, um Teilhabe an politischen Prozessen zu schaffen.
Gerade beim Haushalt einer Gemeinde könnte also deiner Ansicht nach das Zusammenspiel von Digitalisierung, Wirtschaft und Finanzen zu mehr Transparenz führen und damit das soziale Miteinander verbessern?
Ein für jeden digital einsehbarer Haushalt einer Gemeinde würde das Vertrauen in die Entscheidungen der Politik erhöhen. So könnte man Skeptikern etwas entgegensetzen und Politikverdrossenheit vorbeugen. Dann könnte es nicht mehr heißen: Was ihr Politiker euch da wieder zurechtgemauschelt habt. Es würde klarer: Wo kommt das Geld her und wo geht es hin? Und wie viel Geld ist überhaupt da für Projekte? Wenn man zum Beispiel schnell erkennt, wie sehr ein Unternehmen viele Jahre lang ein vorzüglicher Gewerbesteuerzahler war, dann wäre auch erklärlicher, warum eine Kommune hilft, wenn für diese Firma mal eine Krise eintritt. Je einfacher politische Entscheidungen nachvollziehbar sind, desto mehr Vertrauen haben die Bürger*innen in die Arbeit von Politik und Verwaltung.
Bekanntermaßen ist das Beharrungsvermögen in Bürokratien enorm, wie wir alle gerade in der Pandemie lernen mussten, wo Gesundheitsämter noch mit Faxgeräten arbeiten. Was wäre ein erster Ansatz für eine verbesserte Digitalstrategie in Bad Bentheim?
Da ich die genauen Abläufe im Rathaus nicht kenne, kann vorerst nur eine allgemeine Antwort geben. Entscheidend ist letztlich, wie die Vernetzung miteinander aussieht. Durch Vereinfachungen können jedenfalls Prozesse beschleunigt werden. Dahinter steckt die Idee des papierlosen Büros, die allerdings schon ziemlich alt ist. Man muss jedenfalls nicht jeden Tag zusammensitzen, um Entscheidungen zu treffen. Es gibt schon heute ein Menge Lösungen, um Arbeitsabläufe zu vereinfachen. Außerdem kann man Institutionen einander näherbringen, damit sie sich gehört fühlen von Politik und Verwaltung, von der Feuerwehr bis zu Sportvereinen. Zu meinem Erstaunen habe ich beim Grünen-Stand auf dem Wochenmarkt zu hören bekommen: Wirst du gewählt, dann wüsste ich jetzt, dass ich einen Ansprechpartner im Rat habe.
Was sind die größten Hindernisse in Kommunalverwaltungen, um mehr Digitalisierung zu wagen? Geht es da nur um Hardware? Müssten also der Bund oder die Länder Programme auflegen, um Rathäuser fit für die Zukunft zu machen?
Natürlich ist gute Hardware ganz wichtig und dazu gibt es jede Menge Programme, die aber erstaunlicherweise längst nicht ausgeschöpft werden. Aber die entscheidenden Änderungen müssen im Kopf vor sich gehen. Da kommen zwar jetzt die Jüngeren, die weniger Angst vor der Digitalisierung haben und gewohnt sind, damit umzugehen. Aber entscheidend wird sein, all diejenigen mitzunehmen und für mehr Digitalisierung zu begeistern, die sich vor allem Sorgen darum machen, dass dadurch ihr eigener Job gefährdet sein könnte. Ihnen gilt es deutlich zu machen: Der Prozess ist unaufhaltsam, kann aber gut gesteuert werden durch Fortbildungen und muss deshalb nicht beängstigen. Lebenslanges Lernen muss nicht nur für die Jüngeren als positives Ziel begriffen werden. Wenn sich ein Rathaus heutzutage digital gut aufstellen will, dann hat es auch die Möglichkeit dazu.
Die Bad Bentheimer Grünen haben ja vorgeschlagen, auch bei der Digitalisierung der Schulen müsse mehr passieren und die Idee von „IT-Hausmeistern“ ins Spiel gebracht, die Lehrkräfte entlasten können. Braucht es so etwas auch in den Rathäusern, um bürgerfreundlicher zu werden?
Es wird nicht reichen, eine Stelle im Rathaus zu schaffen, die sich mit den vielfältigen Fragen der Digitalisierung befasst. Das kann nur ein Anfang sein. Viel entscheidender wird sein, Netzwerke zu schaffen, in denen man sich problemlos und angstfrei austauschen kann, um das schon vorhandene Wissen zu nutzen und weiterzugeben. Das wäre eine gegenseitige Schulung, um eine Art menschlicher Wissensdatenbank zu schaffen. Im Rathaus, in Schulen, in allen möglichen Institutionen.
Könnte man durch mehr Digitalisierung in den kommunalpolitischen Abläufen auch mehr junge Menschen für die Politik vor Ort begeistern, die ja eher als digitalaffin gelten?
Ganz sicher. Umso einfacher der Zugang ist, desto eher setzt man sich auch mit einem System auseinander. Ein gutes Beispiel dafür ist der „Wahl-O-Mat“, der am Anfang noch sehr belächelt wurde, den aber immer mehr Menschen nutzen. Seine eigenen politischen Ideen und Ideale durch 38 Fragen zu überprüfen, das macht vielen Menschen Spaß und führt nicht selten zu überraschenden Ergebnissen, welche Partei sie sinnvollerweise wählen sollten.
In der Pandemie war für Bürger*innen die Teilnahme an Ratssitzungen ja mit erheblichem Aufwand verbunden: Sie mussten sich anmelden, dann zum Forum des Gymnasiums kommen, um dort über einen Bildschirm die Ratssitzungen verfolgen zu können. Wenn man ein wirkliches Interesse an größerer Öffentlichkeitsbeteiligung gehabt hätte, wären dann nicht bürgerfreundlichere digitale Möglichkeiten denkbar gewesen?
Ja, diesen Prozess hätte man viel einfacher gestalten können, eine Teilhabe wäre auch von Zuhause mit einem Endgerät möglich gewesen, wenn man sich vorher hätte registrieren lassen. Die vorgebrachten Sicherheitsbedenken halte ich in diesem Fall für ziemlich weit hergeholt. Es ist eher ein vorgeschobenes Argument, um es weniger Leuten zu ermöglichen, bei politischen Entscheidungen mitzureden.
Gibt es in anderen Kommunen positive Beispiele der Digitalisierung, von denen sich Bad Bentheim etwas abschauen kann?
Zumindest waren in der Schweiz mit Blockchain-Technologie abgesicherte Verfahren erfolgreich, bei denen man einmal bei der Stadt seine Daten hinterlegen musste, um dann von Zuhause mit seinem Endgerät an Wahlen teilzuhaben. So etwas könnte die Wahlbeteiligung enorm verändern. Ich weiß zumindest von Start-Ups in Deutschland, die an Programmen arbeiten, um Wahlen sicher digital über die Bühne zu bringen.
Wie kann Digitalisierung die Rathäuser und die Kommunalpolitik in den nächsten zehn Jahren verändern?
Man muss leider sagen, dass offenbar erst eine Katastrophe wie Corona kommen musste, um sich hier als entscheidender Beschleunigungsfaktor zu erweisen. Die Teilhabe wird einfacher werden, weil interne Prozesse daraufhin überprüft werden dürften. Denn Abläufe können zusammengeführt werden, auch im Zusammenhang mit überregionalen Entscheidungen. Dadurch dürfte manches kostengünstiger werden. Und es könnte eine ganz neue Art von Transparenz entstehen, die auch das Zusammenwirken von Verwaltung und Kommunalpolitik auf eine neue Grundlage stellt, weil viele Prozesse durchschaubarer werden. Das würde hoffentlich auch eine bessere Mitsprachemöglichkeit mit sich bringen.
In 30 Jahren kommst auch du ins Rentenalter. Wagst du eine Prognose, was dann in puncto Digitalisierung Standard ist? Und zwar nicht nur für junge Leute, sondern für die Mehrheit der Gesellschaft.
Das ist wirklich schwer abzuschätzen. Denn dabei geht es nicht nur um Beharrungsvermögen, sondern auch um das Thema Datenschutz. Und um die Frage, was es bedeutet, wenn es in Deutschland irgendwann dreimal soviel über Sechzigjährige als unter Dreißigjährige gibt. Aufzuhalten ist die Digitalisierung jedenfalls nicht. Wer hätte zum Beispiel 2007 bei der Einführung des I-Phone gedacht, das nur 14 Jahre später unser Leben sich so enorm vereinfachen würde, da diese Geräte es uns unter anderem ermöglichen, Aufgaben des alltäglichen Lebens mit einem Fingerdruck zu meistern.
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