Stefan Gerdes kann bereits auf zehn Jahre Ratsarbeit in den Jahren 2006 bis 2016 verweisen. In seiner ersten Amtszeit war er mit Michael Aßmann nur zu zweit im Rat, was den Arbeitsaufwand noch erhöhte, von 2011 bis 2016 war Friedhild Füser mit im Boot. Dass es nicht nur Auseinandersetzungen mit anderen Parteien in dieser Zeit gab, sondern auch interne Diskussionen, um zu den richtigen Entscheidungen zu kommen, erzählt der Programmierer freimütig im Interview mit Ex-GN-Redakteur Detlef Kuhn und nennt auch Beispiele, warum in seltenen Fällen auch keine einheitliche Abstimmung zustande kam.
Auch aus seiner bisher größten Enttäuschung macht der Grünen-Kandidat auf Listenplatz 4 für die Stadtratswahl in Bad Bentheim kein Hehl. Und über seinen größten Erfolg freut er sich noch heute. Froh ist er, als Rentner ab November endlich mehr Zeit zu haben, um seine Arbeit als Kommunalpolitiker so zu gestalten, wie er sich das immer gewünscht hat. Dabei hilft ihm seine Erfahrung, auch Nackenschläge in der Politik wegzustecken.
Stefan, kannst du dich noch an deine erste Sitzung 2006 als gewähltes Ratsmitglied erinnern?
Als Frischling habe ich mich in der ersten Verwaltungsausschusssitzung (VA) extra vom sehr erfahrenen Michael Aßmann instruieren lassen, worauf zu achten ist. Denn der konnte berufsbedingt seinerzeit nicht an diesen Sitzungen am Mittwoch um 14.30 Uhr teilnehmen. Eigentlich werden in diesem wichtigen hinter verschlossenen Türen tagenden VA-Gremium nur noch die Entscheidungen abgesegnet, die schon in den Fachausschüssen vorbesprochen worden sind. Da geht es dann oft um Ausschreibungen und Auftragsvergaben an Firmen. In meiner ersten Sitzung ging es um den Ausbau eines Fuß- und Radweges an der Ochtruper Straße zum heutigen Kreisverkehr hin. Dafür sollten ein Dutzend Bäume gefällt werden. Mein Einwand: Diese Straße hat doch eine Art Alleecharakter, wenn man nach Bad Bentheim hineinfährt, gerade wenn man von der Autobahn kommt. Das ist doch ein toller erster schöner Eindruck. Das sahen auch CDU und SPD so und mussten einräumen, dass sich offenbar niemand die Mühe gemacht hatte, die Ausschreibungsunterlagen daraufhin zu überprüfen, denn die Abholzaktion tauchte auch nur in einem Nebensatz auf. Das Argument der Verwaltung, der damaligen Leiterin des Tiefbauamtes war nur: Die Bäume werden nach den Arbeiten sowieso alle kaputt gehen. Diese schlichte Behauptung überzeugte niemanden. Die Arbeiten mussten neu ausgeschrieben werden und die Bäume stehen erfreulicherweise heute noch. Ich bin vorhin extra noch mal mit dem Rad vorbeigefahren, um mich davon zu überzeugen – und mich daran zu erfreuen.
Wie hat dir dieses Aha-Erlebnis für die weitere kommunalpolitische Arbeit geholfen?
Mir ist klar geworden, was man erreichen kann, wenn man auch das Kleingedruckte liest. Was allerdings mühselig ist, denn inzwischen sind die Unterlagen bisweilen auf mehrere 100 Seiten angewachsen, die man dann durchackern müsste. Manchmal fragt man sich, ob das Absicht der Verwaltung ist, um manches zu verschleiern. Für die Ratsmitglieder ist so etwas jedenfalls eine Zumutung. Damals habe ich gleich Michael Aßmann angerufen und von diesem schönen Erfolg für die Grünen erzählt und er musste zugeben, dass auch ihm trotz seiner vielen Erfahrung die ganze Tragweite dieses Abholzungsvorhabens nicht aufgefallen war, weil er wohl angesichts der vielen Unterlagen diesen Nebensatz überlesen hatte. Als seinerzeitiger Neuling ist mir aber auch klar geworden, dass man erst einmal das Selbstbewusstsein aufbringen muss, gegen solche Vorhaben und Entscheidungen anzugehen, die im VA normalerweise nur noch durchgewunken werden, denn gegen einen neuen Fuß- und Radweg haben die Grünen ja nun wirklich nichts.
Jetzt habe ich festgestellt, dass sogar der untere Bereich an der Ochtruper Straße mit neuen Bäumen aufgefüllt worden ist. Da habe ich mich an die 15 Jahre alte Entscheidung im VA nochmal erinnert und mir ist bewusst geworden, wie viel man in seinem unmittelbaren Umfeld als Kommunalpolitiker erreichen kann. Aber deshalb ist es auch wichtig, dass die Ratsmitglieder die Beschlussvorlagen so präsentiert bekommen, dass sie etwas damit anfangen können und ihnen nicht noch zusätzliche Arbeit aufgebürdet wird, um unsinnige Entscheidungen erst im letzten Moment zu verhindern.
Mit nur zwei oder drei Grünen-Ratsmitgliedern muss es nicht ganz einfach gewesen sein, die anfallende Arbeit zu leisten. Wenn man von einer Kandidatur auf einer Stadtratsliste überzeugt werden soll, hört sich das ja oft nach einem ziemlich überschaubaren Arbeitsaufwand an.
Das ist je nach Ausschuss ganz unterschiedlich. Vor allem der Bauausschuss ist mit ziemlich viel Arbeit verbunden. In meiner ersten Ratsperiode war ich für die Grünen zuständig für die Ausschüsse Sport, Kultur und Tourismus und Bildung, da fällt längst nicht so viel an. Aber bei einem Projekt wie der neuen Grundschule musste ich schon mal einen halben Tag Urlaub nehmen, wenn der Architekt am Nachmittag die Pläne vorgestellt hat. Insgesamt geht jedenfalls mehr Zeit für die kommunalpolitische Arbeit drauf, als ich das erwartet habe, denn es geht ja auch noch um interne Absprachen in der Fraktion, wie sich die Grünen jetzt positionieren sollen.
Und die VA-Sitzungen finden traditionell am Mittwochnachmittag um 14.30 Uhr statt, damit die städtischen Bediensteten keine Überstunden machen müssen, auf deren Expertise in den Sitzungen oft zurückgegriffen wird. Dann musste ich mich um 13 Uhr in Osnabrück wieder in den Zug setzen, um rechtzeitig zu den Sitzungen zu erscheinen. Ich habe einen Antrag gestellt, diesen Sitzungsbeginn nach hinten zu verschieben, aber der ist abgelehnt worden. Mein Arbeitgeber, die „Neue Osnabrücker Zeitung“, hatte immer viel Verständnis für meine kommunalpolitische Tätigkeit, wenn dieser Termin alle drei Wochen wieder anstand. Die NOZ hätte für die Zeit meines Ausfalls am Mittwochnachmittag als Teamleiter für die kaufmännische Anwendungssoftware Entschädigung von der Stadt Bad Bentheim fordern können, hat das aber nie gemacht.
Wer also glaubt, er könnte auf nette Art und Weise ein leichtes Zubrot mit einem Stadtratsmandat verdienen, der sollte sich lieber etwas Anderes suchen? Zumal die Aufwandsentschädigung ja alles andere als üppig ausfällt angesichts der Verantwortung, die mit den Entscheidungen einhergeht.
Vor 15 Jahren habe ich etwa 150 Euro im Monat bekommen, glaube ich. Als Fraktionsvorsitzender gibt es einen Zuschlag und für den VA-Sitz das Doppelte, da diese Sitzungen alle drei Wochen stattfinden.
Wo liegt dann die eigentliche Motivation, dich jetzt zum dritten Mal kommunalpolitisch engagieren zu wollen?
Mir hat es immer Spaß gemacht, das Gefühl zu haben, mein direktes Lebensumfeld mitgestalten zu können. Wenn es gut geht, sieht man dann, dass man etwas erreicht hat. Deshalb habe ich auch nie über eine Kreistagskandidatur nachgedacht, weil ich dann über Orte entscheiden müsste, die ich nicht kenne. Das wäre mir zu abstrakt. Und dann müsste ich auch in solchen Fällen noch über riesige Summen entscheiden, die man sich selber ja oft gar nicht vorstellten kann, wenn es in die Millionen geht. Das ist schon eine enorme Verantwortung.
Das ist ja schon in Bad Bentheim so gewesen: Eine neue Grundschule für 5,2 Millionen Euro zum Beispiel. Bei allen Projekten möchte ich am liebsten mit dem Rad hinfahren können und gucken, was aus unseren Ratsentscheidungen geworden ist. Wenn ich am 1. November in Rente gehe, dann habe ich endlich kein schlechtes Gewissen mehr, meinen eigenen Ansprüchen nicht gerecht zu werden. Denn wenn ich etwas tue, dann will ich mich auch voll und ganz einbringen. Im Ruhestand könnte ich noch ganz anders an meine kommunalpolitische Arbeit herangehen.
Und dabei hilft die Erfahrung von zehn Jahren Ratsarbeit in Bad Bentheim auf jeden Fall?
Man lernt, Nackenschläge besser wegzustecken. Denn als kleine Fraktion muss man sich daran gewöhnen, häufig gegen eine riesige Wand zu laufen. Das kann unheimlich enttäuschend sein. Vor allem, wenn man Argumenten folgt, von denen man nicht weiß, ob sie wirklich stichhaltig sind. Die Vergabe des Strom- und Gasnetzes an die Stadtwerke Schüttorf war für die Grünen eigentlich eine Herzensangelegenheit. Aber der Bürgermeister hat argumentiert: Die RWE würden dagegen vorgehen, dann könnten Millionenforderungen auf Bad Bentheim zukommen. Mit Bauchweh haben dann Michael Aßmann und ich für den Verbleib des Netzes bei einem großen Konzern gestimmt, nur Friedhild Füser ist ihrem Herzen gefolgt und hat für Schüttorf und die lokale Lösung votiert, die viele sinnvolle Möglichkeiten eröffnet hätte. So kompliziert ist Kommunalpolitik manchmal. Gelernt habe ich aber vor allem, dass der Großteil des Rates gewillt ist, sinnvolle Kompromisse zu finden, damit Entscheidungen zum Wohle der Stadt getroffen werden.
Ich denke aber vor allem noch oft an einen Fall, der mich bis heute beschäftigt: Eigentlich haben die Mehrheiten gegen die Abschaffung des Straßennamens Carl-Diem-Straße gestanden, weil auch die SPD für diesen Grünen-Antrag war. Ich habe dabei tief in den Quellen gegraben und festgestellt, dass dieser Carl Diem ein überzeugter Nazi war und eben nicht nur ein Mitläufer, wie er es später versuchte darzustellen. Aber dann ist ein SPD-Ratsmitglied ausgeschert, hat sein Sondervotum begründet, warum er sich in diesem Fall nicht an die Fraktionsdisziplin halten will und die Mehrheit war futsch. Ausgerechnet ein alter SPD-Mann! Das war schon sehr frustrierend, denn in vielen anderen Städten ist man solchen gut begründeten Anträgen zur Abschaffung dieses Straßennamens oft mit großen Mehrheiten gefolgt, in Osnabrück zum Beispiel. Da hat es mir wenig genützt, dass mir Volker Pannen als Bürgermeister bei meinem Ausscheiden aus dem Rat 2016 attestiert hat, meine Begründung für unseren Grünen-Antrag wäre die beste Rede gewesen, die er je im Stadtrat gehört hätte. Denn solche Reden fallen einem nicht leicht, wenn man spürt, die Stimmung im Publikum ist gegen dich.
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