Wilma Walles tritt zum ersten Mal bei einer Kommunalwahl an (Platz 6 auf der Grünen-Liste in Bad Bentheim). Warum sie überzeugt ist, dass ehrenamtliches Engagement wichtig ist und mehr Grün in den Städten ein erster Schritt zur Veränderung auch in Bad Bentheim möglich ist, hat die Lerntherapeutin in einem sehr offenen zweistündigen Gespräch mit Ex-GN-Redakteur Detlef Kuhn (Platz 10 auf der Grünen-Liste in Bad Bentheim) formuliert.
Wilma, warst du eigentlich schon immer politisch interessiert?
Irgendwie schon. Ich bin schon mit 17 von Zuhause ausgezogen, habe den damaligen lässigen Schlabberlook kultiviert, wovon heute nicht mehr viel zu sehen ist, sagt jedenfalls meine erwachsene Tochter. Ich war viel auf Demonstrationen unterwegs in der Anti-AKW-Bewegung, wo mich die konsequente und gleichzeitig friedliche Haltung der Demonstranten beeindruckt hat. Und Beleidigungen wie „Körnerfresser“ oder hämische Kommentare, weil auch öffentlich viel gestrickt worden in den 80er Jahren, das hat mich alles nicht gestört, weil ich andere Meinungen gut neben meiner eigenen stehen lassen konnte.
Interessiert haben mich lebensgeschichtlich bedingt schon früh Warum-Fragen. So wollte ich auch politische Zusammenhänge begreifen. Und es hat mich schon damals nicht überzeugt, obrigkeitsstaatlichem Denken einfach zu gehorchen, weil offensichtlich war, dass auch diejenigen, die das Sagen haben, auf einfache Fragen oft keine überzeugenden Antworten hatten. Und schon immer habe ich mich für die Natur begeistern können, für die Bewahrung der natürlichen Grundlagen, die so enorm hilfreich sind, nicht nur angesichts des Klimawandels, sondern weil ich die Schönheit der Natur und die Artenvielfalt einfach beglückend finde.
Vor gut zehn Jahren waren wir mal eine Gruppe, die gedacht hat: Mit Frauenpower müssten wir wenigstens in diesem Bereich in der Lokalpolitik etwas bewegen. Aber dann hat sich privat manches anders entwickelt und die Energie ging verloren.
Welche Warum-Fragen in der Lokalpolitik hast du dir gestellt?
Ich lebe in der Wilhelmstraße und frage mich als gebürtige Bad Bentheimerin: Warum ist die Innenstadt inzwischen so tot? Warum gelingt es nicht wenigstens, die vielen Ideen der Anwohner*innen aufzugreifen, um sie zu begrünen und damit zu verschönern, das wäre ja schon mal ein erster Ansatz. Aber bei unseren Anfragen haben wir immer nur gehört, warum etwas nicht geht. Da scheint mir schlicht ein Konzept zu fehlen. Es bleibt dann bei privatem Engagement von Nachbarn und Interessierten mit immer wieder guten Ideen. Die Wilhelmstraße attraktiver zu machen, wäre ja nicht nur für Einheimische eine feine Sache gewesen, sondern wäre auch für Touristen ein Anziehungspunkt gewesen. Aber das kann man auf Dauer doch nun wirklich nicht als ehrenamtliche Aufgabe begreifen.
Wo liegt deiner Ansicht nach der Hauptfehler der Stadtverwaltung bei der Innenstadtentwicklung?
Zu glauben, dass Investoren und das große Geld die Probleme lösen. Wir können ja jetzt mit eigenen Augen begutachten, wohin das führt, wenn man Investoren zu sehr entgegenkommt und die irgendwann die Lust verlieren, sich weiter zu engagieren und ihre Lokale einfach schließen, denn sie hätten sie ja auch vermieten können. Da hat sich (vor allem) der Bürgermeister sehr ungeschickt und zu einseitig positioniert. Es gab schon ein paar anderweitige zarte Pflänzchen in der Geschäftswelt, die meisten Läden stehen jetzt wieder leer.
In einem Leserbrief in den GN habe ich ja mal provokativ gefragt, ob die Synagogenstiege jetzt eine „Privatstiege“ geworden ist. Das hat mir erfreulicherweise viele positive Rückmeldungen eingebracht. Überhaupt hat die Stadt bei einigen Bauprojekten kein glückliches Händchen. Am deutlichsten ist das an der Franziskusstraße beim alten Jugendhaus, die man verhunzt hat, weil man auch hier einem Investor den roten Teppich ausgerollt hat. Aber auch die neuen Baugebiete, die der Bürgermeister immer überschwänglich lobt, scheinen mir jedenfalls nicht so richtig in die Landschaft zu passen. Oder würde irgendjemand sonst ernstlich behaupten: Wirklich toll, richtig gelungen und schön anzusehen?
Was könnte helfen bei der Verschönerung von Bad Bentheim?
Vielleicht brauchen wir nicht immer nur neue Baugebiete, die Flächen versiegeln, wo vorher viel Grün zu sehen war. Zudem könnte man mehr Wert auf die Gestaltung legen, um grüne Elemente zur Geltung zu bringen. Dachbegrünung wäre eine Verschönerungsmöglichkeit, da könnten wir viel von anderen Kommunen lernen. In den Niederlanden gibt es sogar visionäre Konzepte wie 3/30/300: Wenn man in Neubaugebieten aus dem Fenster schaut, muss man mindestens drei Bäume sehen, 30 Prozent der jeweiligen Grundstücke müssen aus Grünflächen bestehen, was der totalen Versiegelung vorbeugen würde, und in 300 Meter Entfernung von jedem Haus muss es wenigstens kleine Grünanlagen geben. Aber so etwas könnte natürlich nur gelingen, wenn es eine städtische Gestaltungssatzung geben würde. Sie würde dem Wildwuchs der Baustile und Gestaltungen einen Rahmen geben. Auch Hecken und Sträucher hätten so eine Chance.
Wie könnte man sonst noch mehr Grün in die Stadt bekommen?
Nach einem meiner Urlaube bin ich vom Bahnhof nach Hause gelaufen und habe festgestellt: Ah, da sind neue Bäume an der Bahnhofstraße gepflanzt worden. Und ich habe mich sofort gefragt: Warum nicht auch Blumen? Und wie bin ich belächelt worden, als ich unter anderem Stockrosen in der Stadt ausgesät habe. So etwas kostet kaum Geld und kann eine sehr schöne Wirkung entfalten. An der fürchterlichen toten Mauer am Bismarckplatz (obere Wilhelmstraße) könnten wunderbar Stockrosen stehen. Warum dort keine Blumen blühen? Das ist wohl nicht gewollt.
Ich bin schon froh, dass wir in einer Bürgerinitiative wenigstens die Bebauung des freien Platzes an der Neuen Stiege in meiner Nachbarschaft haben verhindern können und so eine grüne Lunge mitten in der Stadt erhalten geblieben ist. Eigentlich weiß jeder: Ruhe und Grün lieben nicht nur die Touristen.
Und irgendwann hattest du das Gefühl, ehrenamtliches Engagement reicht nicht mehr aus?
Es hat viele schöne Erlebnisse zusammen mit anderen Mitstreiter*innen gegeben, wenn wir was auf die Beine gestellt haben; zum Beispiel, um die Verbindung zwischen der Burg Bentheim und dem Schloss in Burgsteinfurt zu intensivieren. Diese „Brückenschlag“-Aktion fand auch das Fürstenhaus eine wirklich gute Idee. Bei den Rad- und Lauftouren über diese Entfernung von 27 Kilometer sollte der Spaß und nicht der Wettbewerb im Vordergrund stehen. Das war viel Arbeit und bei der Organisation haben unzählige Menschen mitgeholfen, die darüber ins Gespräch gekommen sind. Aber irgendwann hat die Stadtverwaltung versucht, die Sache zu instrumentalisieren, da sinkt die Motivation der Ehrenamtlichen schnell auf den Nullpunkt.
Auch die Aktion „Kunst in den Gärten“, ich glaube es war 2008, war ein voller Erfolg, vielleicht weil auch diese Idee nicht kommerziell angelegt war. Alle Beteiligten waren vom Zuspruch überwältigt, denn die Menschen haben uns quasi überrannt. Solch eine Aktion hätte alle paar Jahre wiederholt und verfeinert werden können, um Menschen in die Wilhelmstraße zu locken. Diese Idee aufzugreifen, nutzte die Stadt nicht. Immer nur bürgerschaftliches Engagement einfordern, das nichts kosten darf, das funktioniert nicht.
In seiner ersten Amtszeit war ich noch ein Fan von Volker Pannen, doch nach seiner Wiederwahl musste ich feststellen: Sein Interesse gilt vor allem großen prestigeträchtigen Projekten, für die er Investoren Tür und Tor geöffnet hat. Auch wenn so mancher Schandfleck in den vergangenen 15 Jahren verschwunden ist: Ich finde es nach wie vor fast erschreckend, wie sich Bad Bentheim verändert. Das zu Bewahrende spielt inzwischen höchstens noch eine untergeordnete Rolle. Die Innenstadt ist gestorben und wer mit offenen Augen dadurch geht, findet unglaublich viele Leerstände, die außerdem in einem wenig ansehnlichen Zustand sind. Das ist jedenfalls mein Gefühl.
Und daraus ist die Entscheidung erwachsen, als Parteilose für die Grünen bei der Stadtratswahl anzutreten?
Wenn sich in Bad Bentheim etwas in meinem Sinne verändern soll, dann sicher nur mit den Grünen. Denn als Parteilose kann ich da meine freie Meinung äußern und werde gehört. Grundsätzlich bin ich Bürgerin, die ihre eigene Meinung behalten will.
Meine Grundhaltung ist: Man muss immer miteinander reden. Denn wer die verschiedenen Parteiprogramme liest, stellt doch fest: Fast alle Parteien sind für mehr Nachhaltigkeit und gesundes Wachstum. Vielleicht sind die Unterschiede im Nachdenken darüber, was das konkret bedeuten kann, ja doch überbrückbar. Ich will die Hoffnung jedenfalls nicht aufgeben. Schließlich macht der Klimawandel uns doch alle nachdenklich und die Naturkatastrophen in jüngster Zeit tragen möglicherweise zu einer Annäherung der Positionen bei. Denn dass die Naturkatastrophen sich weltweit in immer kürzeren Abständen ereignen, das spüren wir doch alle.
In diesem Zusammenhang noch ein Buchtipp des Arztes, Journalisten und Comedian Dr. Eckart von Hirschhausen: „Mensch, Erde! Wir könnten es so schön haben“. Darin finden sich viele sehr anschauliche Erklärungen ohne erhobenen Zeigefinger, die aber vor allem deutlich machen: Jeder und jede kann seinen Beitrag leisten, dem Klimawandel entgegenzutreten.
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